Der Jetlag hat mich dermaßen im Griff gerade“, sagt Irène Scholz im Videocall. Für unser Interview erreiche ich sie in einem Münchner Hotel, nur wenige Stunden vorher ist sie aus L.A. zurückgekommen. Eine private Reise. Irène sieht sonnengebräunt und erholt aus, trägt einen weißen Adidas Sweater und ihren signature Dutt.
Irène war bis vor kurzem Trainerin bei der amerikanischen Fitnessbrand Peloton. Die Trainer:innen bei Peloton haben vor allem in Amerika Star-Status, mit zehn-, teils hunderttausenden Follower:innen auf den sozialen Netzwerken.
Irène war die erste Deutsche in dem gehypten Fitnessimperium – nun ist sie eine der ersten Trainer:innen überhaupt, die kündigte, um neue Wege einzuschlagen. Im Interview erzählt sie, wie es zu der Entscheidung kam, was sie bei Peloton über Personal Branding gelernt hat und was sie jetzt vorhat.
Liebe Irène, du warst die erste deutsche Peloton Trainerin. Nun hast du dich als erste der Trainer:innen überhaupt dazu entschieden, weiterzuziehen. Wie kam es dazu?
Es gab mehrere Gründe, die da zusammengekommen sind. Einmal hat mich das Pendeln zwischen Berlin und London, meinem Zuhause und dem Studio, immer mehr gestört. Temporär ist das ja kein Problem, aber für mich war klar, dass das keine Dauerlösung sein kann, allein wenn man mal an die Gesundheit, die Umwelt und auch die Work-Life-Balance denkt. Für mich muss das ganze Paket stimmen.
Was gehört denn für dich noch zu dem „ganzen Paket“?
Ich brauche Abwechslung, neue Anreize und Inputs. Sei es zu schreiben, sei es meinen eigenen YouTube-Kanal aufzubauen oder mit Adidas ein Projekt zu machen. Peloton ist sehr exklusiv, Nebenprojekte waren da nicht möglich. Was ja auch ok ist, das ist wohl bei den meisten Full-Time Angestelltenverhältnissen so. Aber ich wünsche mir eben eine gewisse Freiheit und auch die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, wie ich mich gerne darstellen möchte.
„Ich brauche Abwechslung, neue Anreize und Inputs.“
Wie möchtest du gerne gesehen werden?
Mir ist zum Beispiel auch das Thema Mindfulness sehr wichtig. Bei Peloton hingegen war ich als die energiegeladene Sportskanone im HIIT- und Tabata-Bereich bekannt. Ein Image-Wechsel ist da nicht so einfach möglich, was aus Markenperspektive ja auch Sinn macht.
Wieso?
In punkto Personal Branding ist Kontinuität sehr wichtig. Man schafft so einen Wiedererkennungswert. In meinen ersten Meetings mit den Stamm-Trainerinnen aus Amerika haben die mir genau das gesagt: Verändere deinen Stil, deine Frisur oder dein Make-up nicht zu oft. Finde deinen Stil und dann bleib‘ dabei. Erst wenn du dich etabliert hast und die Leute deinen Look kennen, dann kannst du auch mal etwas Abwechslung reinbringen.
Spannend, wie mit Serien-Charakteren. Das Schöne ist ja, dass die immer gleich aussehen, ob bei Friends oder den Simpsons. Eines ist sicher: Auch wenn die Welt untergeht, Bart Simpson wird immer sein orangefarbenes T-Shirt tragen.
Genau. Die Leute, die sich regelmäßig deine Workouts auf dem Screen anschauen, identifizieren sich mit dir, du bist für sie wie eine Freundin. Als ich bei Peloton aufgehört habe, habe ich wahnsinnig viele Nachrichten bekommen von Menschen, die mir geschrieben haben, dass sie mich vermissen werden.
Wie hast du die Entscheidung zu kündigen getroffen?
Die meisten Entscheidungen mache ich mit mir selbst aus, aber ich habe auch Ratgeber:innen. Über die Jahre sind das allerdings immer weniger geworden, weil ich inzwischen viel mehr selektiere, von wem ich mir Ratschläge geben lasse. Viele Menschen geben einfach aus ihrer eigenen Angst heraus Ratschläge, von ihrem eigenen Standpunkt aus. Das hilft mir dann nicht wirklich. Jemand, den ich als Ratgeber schätze, ist mein Bruder. Der stellt immer die richtigen Fragen.
„Die meisten Entscheidungen mache ich mit mir selbst aus.“
Bei Peloton warst du in einem sehr nach außen ausgerichteten Job beschäftigt, wo eine starke Social Media Präsenz Teil der Job Description war. Wie hast du es da geschafft, bei dir zu bleiben?
Vor ein paar Jahren habe ich von einem Coach gelernt, dass ich ein „outgoing introvert“ bin, also ein introvertierter Mensch, der von außen extrovertiert erscheint. Ob man extrovertiert oder introvertiert ist, beeinflusst, woher man seine Energie bekommt und wie man seine Akkus wieder auflädt.
Extrovertierte Menschen gehen unter Menschen und tanken dabei Energie. Introvertierte Menschen hingegen laden ihre Energie mit sich selbst auf. Das ist bei mir so. Ich brauche wirklich diesen Abstand zu Menschen, Ruhephasen und Stille – sei es in der Natur oder Zuhause in meinem Safe Space. Das über mich zu lernen war ein echter Game Changer für mich.
Inwiefern?
Viele meiner Freund:innen früher wollten immer unterwegs sein und ausgehen während ich eher Zuhause bleiben wollte. Lange dachte ich deswegen, ich bin irgendwie komisch und habe mir Vorwürfe gemacht. Jetzt verstehe ich mein Verhalten.
Ich kann sehr outgoing sein, vor allem in meinem Job und in meinem Netzwerk. Da gebe ich viel Energie, bin interessiert und auch präsent. Aber irgendwann kommt ein Punkt, an dem meine Energiereserven leer sind und ich den Rückzug suchen muss.
Für mich ist das Self-Care: Klar „Nein“ zu sagen, sich Zeit für sich selbst zu nehmen und last but not least habe ich wirklich nur einen sehr kleinen Kreis an Menschen, die ich wirklich meine Freund:innen nenne.
Was sind die wichtigsten Dinge, die du in deiner Zeit bei Peloton gelernt hast?
Eine Sache, die ich gelernt, oder vielleicht noch mehr verinnerlicht habe, ist dieses „Speak Up“, das Teil der Peloton-Kultur ist. Also wirklich seine Stimme und Reichweite zu nutzen für Dinge, die uns alle weiterbringen, wie zum Beispiel die Black Lives Matter Bewegung. Vorher war ich immer eher mit mir selbst und meiner persönlichen Entwicklung beschäftigt.
Die andere Sache ist, dass ich trotz der ganzen shiny Medienwelt gelernt habe, wie wichtig es ist, den Faktor Mensch nicht zu vergessen. Ich habe gelernt, mir selbst und meinen Werten treu zu bleiben.
Und drittens: Ich hatte immer ein sehr klares Bild von mir, wer ich bin und was ich sein möchte. Peloton hat mir eine neue Seite von mir gezeigt, die ich von mir noch nicht kannte: Diese Entertainerin, die Good Vibes versprüht und auf dem Rad tanzt. Es hat mich selbst überrascht, dass mir das so viel Spaß gemacht hat.
Wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich möchte den Fokus zum ersten Mal überhaupt auf mein Privatleben legen. Ich bin jetzt 37 und möchte eine Familie haben. Ich will nicht mehr nur für meine Karriere leben. Aber ich habe trotzdem schon ein paar kleine Herzensprojekte in der Pipeline. Ich möchte zum Beispiel schon lange eine Meditations-Ausbildung machen. Dafür habe ich jetzt Zeit.
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