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  • Amenorrhö & Hormonbalance

    Kann man trotz Leistungssport seine Periode haben, Anna und Lisa Hahner?

    Hahner Twins Interview Amenorrhoe

    Ende 2019 machten Anschuldigungen der jungen Profisportlerin Mary Cain gegenüber Nike die Runde. Ihr Vorwurf: Ihre ausschließlich männlichen Trainer sollen sie über Jahre hinweg körperlich und mental missbraucht haben, indem sie strikt ihr Gewicht kontrollierten und sie zu einem Untergewicht zwangen. Die Gleichung ihres Trainerstabs lautete: wenn du besser werden willst, musst du dünner werden. Das Ergebnis: ihre Leistung brach ein und ihr Körper reagierte mit Stresssymptomen. Auch von einer Amenorrhö, also dem Ausbleiben der Periode, war sie über drei Jahre lang betroffen.

    Wie sieht es im Deutschen Leistungssport aus?, fragte ich mich.

    Im Gespräch mit den Profisportlerinnen Anna und Lisa Hahner bin ich dieser Frage nachgegangen.

    Hormonbalance und Leistungssport – wie passt das zusammen?

    Wer meinen Blog verfolgt, wird schnell sehen, dass das Thema Amenorrhö und Sport eng miteinander verzahnt sind. Ich selbst liebe es Sport zu machen, vor allem das Laufen, und trainiere gerade für meinen ersten Halbmarathon nach meiner Amenorrhö Recovery Zeit. Dabei beobachte ich mich selbst sehr genau und schaue, wie viel Training geht und wie ich mich am besten ernähre, um zu lang anhaltende Energiedefizite zu vermeiden. Ein Balanceakt, den ich früher nicht so gut hinbekommen habe. (>>Amenorrhö und Sport: Ist mein Sportprogramm in Balance?)

    Bislang funktioniert das gut: Trotz 3-5 Laufsessions pro Woche Plus Yoga und gelegentlichen Krafttraining Sessions habe ich nach wie vor einen regelmäßigen Zyklus von ca. 28 Tagen. Doch wie sieht es aus, wenn man wirklich auf Leistungsniveau läuft und nicht nur wie ich als Amateurin?

    Kann man als professionelle Langstreckenläuferin überhaupt einen normalen Zyklus haben?

    Ich freue mich daher riesig, heute mit den beiden Langstreckenläuferinnen Anna und Lisa Hahner über ihr Training, ihre Ernährung und die Bedürfnisse des weiblichen Körpers im Leistungssport zu sprechen. Die Zwillinge, Jahrgang 1989, gehören zur Deutschen Leichtathletikspitze und trainieren aktuell dafür, die Marathon Norm für die die Olympischen Spiele in Tokio 2020 zu erreichen.

    Mein Interview mit den Marathonläuferinnen Anna und Lisa Hahner

    Ich erreiche Anna und Lisa, die auch als Hahner Twins bekannt sind, während ihres Trainingslagers in Neuseeland, wir sind bei Skype verabredet. Bei mir ist es 8 Uhr morgens, bei Lisa und Anna 20 Uhr abends, der Trainingstag ist für die beiden beendet. Da die beiden gegen 21h bereits ins Bett gehen, um für den nächsten Tag fit zu sein, starten wir direkt ins Gespräch!

    Hahner Twins - Amenorrhoe Leistungssport
    Berlin – Neuseeland: Skype macht’s möglich!

    Insa: Wie sieht denn eine typische Trainingswoche bei euch im Trainingslager aus?

    Hahners: Der ganze Tag dreht sich hier um den Sport. Aktuell haben wir zwei Ausdauereinheiten am Tag, wovon eine mindestens Laufen ist. Manchmal laufen wir auch zweimal, ansonsten sind die Sessions im Wasser oder auf dem Rad. Zusätzlich steht dann noch viermal die Woche Krafttraining und täglich Yoga auf dem Plan. Die Länge unserer Einheiten variiert dabei; Sessions auf dem Rad können schon mal so vier, fünf Stunden dauern, beim Laufen landen wir inklusive Techniktraining auch bei bis zu zweieinhalb Stunden.

    I.: Das klingt intensiv. Wie plant ihr als Leistungssportler eure Mahlzeiten, um ausreichend Energie für euer Training zu tanken?

    H.: Die Ernährung spielt für uns eine große Rolle, wir beschäftigen uns viel damit und kochen und backen auch total gerne. Wir haben festgestellt, wie immens wichtig es ist, ausreichend Kalorien zu sich zu nehmen, um gesund zu sein und das Training gut wegstecken zu können. Aber wir haben auch festgestellt, dass die Ernährung von Sportler zu Sportler total individuell ist.

    Wir kommen von einem Bauernhof und sind damit aufgewachsen, dass für uns frisch gekocht wurde. Wir haben immer so viel gegessen, wie wir wollten. Durchs Laufen haben wir gemerkt, dass wir einen höheren Energiebedarf haben, klar.

    Wir tracken keine Kalorien, sondern essen recht intuitiv.

    Auf unserem Speiseplan stehen zum Beispiel viele Nüsse und gute Öle, die eine hohe Energiedichte haben und dem Körper gut tun, ohne Junk Food zu sein.

    I.: Interessant, dass ihr gar keine Kalorien zählt! 

    H.: Ja, wir haben auch keine Waage. Die Kalorienanzahl sagt ja nichts über eine gesunde und den Lebensumständen angemessene Ernährung aus. Für uns funktioniert eine achtsame, intuitive Ernährung am besten. Dafür benötigt es natürlich ausreichend Wissen über Lebensmittel und ein gutes Körpergefühl. Wer sich noch nicht viel mit Ernährung beschäftigt hat, für den kann es durchaus hilfreich sein, einem Ernährungsplan zu folgen. Das sollte dann aber keine Diät mit Fokus auf Verzicht sein, sondern ein den persönlichen Bedürfnissen angepasster Plan. Die Freude am Essen sollte nie verloren gehen.

    Bei der Ernährung ist wichtig seinen Körper kennenzulernen und für sich herauszufinden, was zu einem passt. Denn was für dich funktioniert, ist vielleicht für mich nicht ideal.

    Wir achten hauptsächlich darauf, dass unsere Lebensmittel frisch sind und, dass unsere Mahlzeiten möglichst selbst zubereitet werden. Denn nur wenn man selbst backt und kocht, dann weiß man auch, was drin ist im Essen. Wenn wir unterwegs sind in anderen Ländern schauen wir auch immer im Supermarkt, was es lokal im Angebot gibt und was dort gegessen wird.

    I.: War das schon immer so, dass ihr euch intuitiv ernährt habt, oder gab es auch Zeiten, in denen ihr von euren Trainern o.ä. Vorgaben für euer Gewicht und Essen bekommen habt?

    H.: Es ist schon so, dass das Gewicht beim Marathon eine Rolle spielt, wie bei jedem Leistungssport. Doch durch den Trainingsumfang und unsere Erfahrung müssen wir nicht mehr 10 Wochen vor dem Marathon schon unser „Race Weight“ erreicht haben. Dieses kann aber auch von Marathon zu Marathon unterschiedlich sein. Es gibt da keine konkrete Zahl, die man nennen kann, man muss sich immer noch wohl dabei fühlen. Und das kann eben manchmal 1-2 kg mehr sein, oder mal 1 kg weniger. Unsere Trainer checken schon was wir essen, aber sie wissen und sehen ja, dass wir uns im Großen und Ganzen sehr gesund ernähren und würden uns jetzt nie verbieten, nachmittags nach einer Session mal ein Stück Kuchen zu essen.

    Unsere Trainer würden uns nie verbieten, nachmittags ein Stück Kuchen zu essen.

    Das Training an sich ist eine große Belastung für den Körper, nicht nur eine körperliche, sondern auch eine mentale. Wenn man dann auch am Gewicht drehen muss oder möchte, dann ist das eine zusätzliche Belastung. Und selbst wenn theoretisch 1 kg weniger vielleicht besser fürs Laufen wäre um leichter zu sein, dann nimmt einen das mental vielleicht so sehr mit, dass man trotzdem nicht schneller läuft. So war es ja auch bei Mary Cain. Bevor man anfängt am Gewicht zu drehen, muss erstmal beim Training alles ausgereizt sein.

    Hahner Twins Interview Amenorrhoe
    Hahners: „Das Training ist eine große Belastung für den Körper!“

     

    I.: Wie habt ihr die öffentlichen Anschuldigungen von Mary Cain gegenüber ihres Trainerstabs erlebt?

     H.: Mega krass. Wir finden das total mutig und stark von ihr. Wir kennen Mary Cain nicht persönlich, haben das Video aber auch bei uns geteilt, denn wir glauben, dass viele dieses Thema bis dahin gar nicht auf dem Schirm hatten, vor allem Männer nicht. Es ist einfach so, dass man weibliche Athletinnen anders behandeln muss als männliche Athleten. Der weibliche Körper funktioniert anders und hat andere Bedürfnisse.

    Was für einen Mann gut ist, ist nicht immer genauso gut für eine Frau.

    Deswegen war das super hilfreich, dass sich viele zum ersten Mal darüber Gedanken gemacht haben. Wir Läuferinnen müssen uns da gegenseitig mehr unterstützen und austauschen.

    I.: Habt ihr auch hauptsächlich männliche Trainer?

     H.: Ja, ausschließlich. Im Medical Team in Berlin gibt es allerdings auch Frauen. Und unsere Gynäkologin ist eine Frau. Aber das Trainerteam ist ausschließlich männlich. Ach ja und Uta Pippig [Anm.: die ehemalige deutsche Star-Marathonläuferin] gibt es natürlich auch noch, die ist für uns inzwischen so etwas wie eine Mentorin geworden.

    I.: Wie sieht es denn nun bei euch aus: Habt ihr eure Periode?

     H.: Ja, wir haben unsere Periode. Wir checken auch sehr regelmäßig unsere Hormonspiegel beim Frauenarzt und sind da sehr achtsam, weil wir wissen, dass mit einer Amenorrhö / Female Athlete Triad Probleme mit der Knochendichte auftreten können, doch unsere Werte waren bisher immer gut und gesund. Wir hatten aber tatsächlich auch schon immer unkomplizierte Zyklen, ohne PMS, Magenkrämpfe, Stimmungsschwankungen oder ähnliches.

    Unser entscheidender Vorteil ist wahrscheinlich, dass wir mit 17 Jahren überhaupt erst angefangen haben zu laufen und uns in unserer Pubertät komplett normal entwickeln konnten.

    Viele Läuferinnen die auf Leistungsniveau unterwegs sind, haben einfach schon sehr früh mit einem hohen Trainingspensum angefangen und hatten so Probleme, überhaupt ihre Periode zu bekommen [Anm.: Dabei handelt es sich dann um eine primäre Amenorrhö]. Bei einer Triathletin, die wir kennen, war es zum Beispiel so, dass sie mit 13 bereits so hart trainiert hat, dass die Periode lange Zeit nicht einsetzte. Bei ihr griff dann der Deutsche Triathlon Verband ein und verordnete ihr vorläufiges Wettkampfverbot, bis sie mehr Gewicht auf den Knochen hat und auf natürliche Weise ihre Periode bekommt. Das war schon beeindruckend, denn sie galt als sehr großes Nachwuchstalent.

    Leistungssport macht man ja nur einen gewissen Zeitraum in seinem Leben, doch die Gesundheit ist für immer wichtig. Und da sehen wir auch Trainer und Verbände in der Pflicht, darauf zu achten, dass ihre Athleten und Athletinnen gesund sind und bleiben.

    Erfolg und Medaillen sind natürlich wichtig, doch die Gesundheit hat Priorität!

    I.: Ist das Thema Gewicht / Ernährung auch eines, mit dem ihr auf Social Media konfrontiert seid?

    H.: Auf Instagram bekommen wir schon manchmal Kommentare, in denen es heißt, wir seien zu dünn. Uns ist schon bewusst, dass wir uns als Langstreckenläuferinnen eher am unteren Rand der Gewichtsgrenze befinden und promoten unser Gewicht auch nicht als Idealbild. Aber es gehört eben zu unserem Job dazu, unsere Körper bestmöglich auf die Herausforderungen von langen Läufen vorzubereiten und Bestleistungen abzurufen. Doch unserer Meinung nach sollte man dabei immer ein entspanntes Verhältnis zu seinem Körper und der Ernährung beibehalten.

    Ist man verletzungsbedingt mal zu einer Pause gezwungen, ist es klar, dass man ein paar Kilos zunimmt, denn der Körper baut seine Reserven wieder auf. Und das ist auch ok und sogar wichtig für die Regeneration. Es ist wichtig, dem Körper das zu geben, was er dann braucht.

    Manchmal bekommen wir Anfragen von Läuferinnen, die uns fragen, wie sie es schaffen können, in verletzungsbedingten Trainingspausen ihr Gewicht zu halten. Da fragen wir immer zurück: Warum solltest du das Gewicht halten wollen?

    I.: Ihr hattet ja das Thema Knochendichte bereits angesprochen. Ist man von Amenorrhö betroffen, dann geht das oft einher mit niedrigen Östrogenspiegeln und einem erhöhten Risiko für Osteoporose (Knochenschwund) und Osteopenie (der Vorstufe von Osteoporose). Hattet ihr denn schon einmal mit einem Ermüdungsbruch zu tun?

    H.: Ja, leider schon. Ich hatte einen Ermüdungsbruch (Lisa), ich hatte drei (Anna).

    Wir haben daraufhin unsere Knochendichte messen lassen, doch da war alles normal. Ermüdungsbrüche können eben auch einfach von zu viel Training oder Fehlhaltungen kommen. Damals war dann das Training die Stellschraube, an der wir drehen mussten, nicht die Ernährung oder unser Hormonhaushalt.

    Die Verletzungen haben uns gezeigt, dass es nichts bringt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.

    Man sollte sich erlauben, auch mal entspannter zu sein, auf sich zu achten und für seinen Körper zu trainieren, nicht gegen ihn. Physiotherapie, Athletik und Krafttraining helfen uns seitdem sehr bei der Verletzungsprävention. Und schlafen! Aktuell im Trainingslager kommen wir nachts so auf acht Stunden und machen dann nochmal einen kleinen Mittagsschlaf.

    I.: Das mit dem verkrampften Verhältnis zum Sport kann ich durch meine eigene Erfahrung und die Berichte von vielen anderen Mädels, die von einer ausbleibenden Periode betroffen sind, bestätigen. Ihnen fällt es total schwer, von ihrem harten Trainingspensum zu lassen und mal eine Pause zu machen, weil sie so Angst davor haben zuzunehmen. Was würdet ihr in dem Fall raten?

     H.: Für uns ist Sport mit Freude verbunden. Wir lieben das Laufen, wir lieben es uns zu bewegen. Der Sport sollte nicht als Tool genutzt werden, um dünn zu sein und abzunehmen; außer man hat wirklich ein paar Kilos zu viel auf den Rippen und fühlt sich nicht mehr wohl in seiner Haut.

    Schlank zu sein durch den Sport kann natürlich ein Nebeneffekt sein, sollte aber nicht das Hauptziel sein.

    I.: Wird denn über das Thema Periode / Amenorrhö unter Sportlerinnen gesprochen?

    H.: Ja, es wird schon über die Periode gesprochen. Wir haben den Eindruck, dass Amenorrhö recht stark verbreitet ist. Das ist leider noch immer ein Tabu Thema und sollte mehr von den Ärzten und auch Trainern beachtet werden.

    I.: Plant ihr euer Lauftraining im Zyklus?

    H.: Eher nicht. Wir haben bis jetzt noch keine Korrelation zwischen Training und unserer Periode bemerkt. Es gibt eben immer Tage an denen man sich besser fühlt, und andere, an denen man nicht so fit ist.

    I.: Habt ihr denn noch ein paar letzte Worte?

    H.: Wir finden das Thema echt super wichtig, denn es sollte kein Tabuthema sein, auch über die Periode und die körperlichen Unterschiede von Männern und Frauen im Sport zu sprechen.

    Junge Läuferinnen können wir nur dazu ermutigen, sich vielleicht auch weiblichen Rat zu holen, wenn es für sie ein Problem ist, über intimere Themen mit dem Trainer zu reden. Vielleicht gibt es Teamkolleginnen, Physiotherapeutinnen oder Ärztinnen, denen man sich anvertrauen kann.

    Wir Frauen müssen zusammenhalten. Man sollte das nicht mit sich selbst ausmachen müssen.

    Dem kann ich nur zustimmen! Vielen Dank für das spannende Gespräch, liebe Lisa und liebe Anna und viel Erfolg in der neuen Saison!

    Lasst es euch gut gehen!
    Eure Insa

    Hahner Twins Interview Amenorrhoe
    Frauenpower! „Wir Frauen müssen zusammen halten!“
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